Digitale Ethik: das Fundament zukunftsorientierten Unternehmertums

Lena Engel, Nur Baute
21. August 2020
 
Die Digitalisierung prägt unsere Gegenwart. Weltweit löst die Corona-Krise einen Schub in der Nutzung digitaler Medien aus. Vom kleinen Unternehmen um die Ecke bis zum internationalen Technologieunternehmen – bei allen steigt die Nutzung verschiedener Software-Lösungen, um beispielsweise Homeoffice zu ermöglichen. Wir treffen uns beruflich und privat im digitalen Raum. Einerseits werden dabei die Potenziale der Digitalisierung deutlich, andererseits zeigt sich auch die Verantwortung, die mit der Gestaltung einer digitalen Welt einhergeht.
 
Umso wichtiger ist es jetzt die Frage der Digitalethik in den Vordergrund zu rücken. Die Technologie ist uns im Jahr 2020 schon voraus. Die marktwirtschaftlich bedingte Einstellung für Unternehmen und deren Entwickler lautet: »Release early, release often«[1]. Dabei gibt es keinen einheitlichen Standard, der sicherstellt, dass die entwickelten Produkte Werte wie Würde und Respekt oder Sicherheit und Vertrauen erfüllen. Tatsache ist, dass Unternehmen zunehmend Reputationsverluste durch fehlende Strategien zur digitalen Verantwortung hinnehmen müssen (siehe Cambridge Analytica oder der Diesel-Software-Skandal). Die Frage, die sich heute stellt, ist nicht mehr, ob das digitale Leben einen großen Teil unseres Alltags einnehmen wird, sondern, wie wir der Digitalisierung ein Wertesystem zugrunde legen können, bei dem alle Menschen gleichermaßen profitieren.
 
Das Institute of Electrical and Electronics Engineers (IEEE) fordert dazu, dass Technik das Wohlbefinden (»Wellbeing«) der Menschen verbessern solle. Diese Definition bleibt aber an der Oberfläche und müsste klarer ausdifferenziert werden. Sarah Spiekermann hat solche vertiefende Ansätze für verantwortungsvolle Digitalisierung zusammengeführt und klassifiziert. Dabei kristallisieren sich grundsätzliche Werte, die für eine ethische Betrachtung von Digitalisierung benötigt werden, heraus: Würde und Respekt, Freundschaft, Sicherheit und Vertrauen, Gesundheit.[1] Diese Werte sollten einer globalen Antwort auf die Frage nach der digitalen Verantwortung zugrunde liegen. Dass so ein Standard nicht starr sein kann, besonders bei einem sich so schnell verändernden Thema wie der Digitalisierung, versteht sich von selbst.
 
Die Komplexität der Thematik hat viele Parallelen zur Idee der unternehmerischen Nachhaltigkeit. Darum ist es auch nicht verwunderlich, dass diese Gedanken im Feld der Corporate Responsibility (CR) aufgegriffen werden, zusammengefasst unter »Corporate Digital Responsibility« (CDR). Man könnte sogar argumentieren, dass es im Grunde ein und dieselbe Thematik ist – nämlich die der Verantwortung von Unternehmen. CR-Strategien zukunftsfähiger Unternehmen müssen zusätzlich Antworten auf Herausforderungen der Digitalisierung geben.
 
 
Was bedeutet das für Unternehmen?
 
An diesem Punkt stellt sich die Frage, wer zukünftig die Aufgabe übernimmt, ein Wertesystem zu implementieren und gegebenenfalls sogar Verstöße zu ahnden. Viele Unternehmer würden hier den Staat in der Rolle sehen einen gesetzlichen Rahmen zur Orientierung für Unternehmen zu schaffen. Doch Ethik ist nicht mit Compliance zu verwechseln. Leitlinien zu etablieren, die auf Werten und Prinzipien eines Unternehmens basieren, ist in beiden Fällen (CR und CDR) mehr, als sich an den gegebenen rechtlichen Rahmen zu halten.
 
Hinzu kommt, dass Vertrauen sich als zentraler Wert im Umgang mit der Digitalisierung herauskristallisiert. Natürlich helfen Gesetze (wie beispielsweise GDPR) einen einheitlichen Standard zu etablieren. Doch Unternehmen müssen Teil eines Prozesses der Gestaltung einer wertebasierten digitalen Transformation über den gesetzlichen Rahmen hinaus (der als Mindestanforderung anzusehen ist) werden, um bei ihren Stakeholdern Vertrauen und Akzeptanz schaffen zu können. Gerade in Fragen der Digitalisierung hinkt der Gesetzgeber hinterher. Ein ethischer Ansatz soll also die Basis aller zukünftigen Interaktionen und somit der wirtschaftlichen Zukunft eines Unternehmens bilden.
 
 
Wo stehen Unternehmen?
 
Der Prozess der Integration einer Strategie zur digitalen Verantwortung steckt noch in den Kinderschuhen. Wenngleich einige Unternehmen Wertelisten veröffentlichen, wird CDR noch nicht in die Nachhaltigkeitsstrategie (nachzulesen im CR-Bericht) der DAX-30-Unternehmen integriert.[2] Noch sind wir also nicht in einer Welt angekommen, die soziale, ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit von digitaler Technologie in ihrer Entwicklung und Anwendung berücksichtigt.
 
 
Hürden und Chancen
 
Systain definiert zusammen mit einigen Vorreiterunternehmen folgende wichtigste Herausforderungen: »Sicherstellung der Wettbewerbsfähigkeit«, »Unsicherheit durch fehlendes Know-how«, »Geschwindigkeit der Veränderungen« und »Hürden durch strukturellen Wandel«. Diese werden ergänzt durch die Chancen, die die Aufnahme von Digitalethik in die eigene Unternehmensstrategie bietet: »Vertrauen und Verständnis schaffen«, »langfristige Zukunftssicherung«, »Einnahme einer Vorreiterrolle« sowie »Reputationsgewinne und Kundenbindung«. Diese Klassifizierung kann Unternehmen helfen, die Diskussion über eine ethische Digitalisierung zu beginnen und einen Prozess zur Definition passender Handlungsfelder zu initiieren.[3]
 
 
Synergien schaffen: CDR und CR
 
Verantwortungsvolle Unternehmen müssen nicht gänzlich neu ansetzen. Die Frage der digitalen Ethik lässt sich – und das ist im Sinne einer ganzheitlichen Perspektive auch erforderlich – in die Nachhaltigkeitsstrategie von Unternehmen integrieren. Bestehende Standards und Initiativen, wie zum Beispiel die ISO2600 oder die SDGs[4], helfen dabei sich zu orientieren. Darüber hinaus geben bestehende interne Wertesysteme zur Nachhaltigkeit auch die Zielrichtung für digitale Verantwortung vor. Die Berücksichtigung digitaler Themen in bestehenden Strategien festigt das Vertrauen von Stakeholdern. Durch Transparenz können die Potenziale der Digitalisierung (wie etwa die Nutzung von Daten) ausgeschöpft werden und innovativ und wettbewerbsorientiert gewirtschaftet werden.
 
Eine besondere Herausforderung jedoch gilt es in Bezug auf CDR, auch für gut vorbereitete Unternehmen, zu meistern. Die Geschwindigkeit der voranschreitenden Digitalisierung erfordert eine besonders flexible Integration von CDR. Die Strategie muss also agile Methoden der Veränderung und Revisionen zulassen.
 
Die oben beschriebenen Entwicklungen zeigen die Dringlichkeit einer Wertedebatte in Bezug auf die Digitalisierung. Noch befinden wir uns in der Anfangsphase der Diskussion, wie ein verantwortungsvoller Umgang mit der Digitalisierung aussehen kann. Unternehmen sollten also jetzt aktiv werden und diesen Prozess mitgestalten (Beispiele für Unternehmen, die das bereits tun, sind SAP und die Deutsche Telekom). Wir alle sind in unseren Rollen als Unternehmer, Mitarbeiter, Kunden und auch als Privatpersonen gefragt ein menschliches Wertesystem für den digitalen Raum zu erschaffen.


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