Ich hab doch nix zu verbergen …

Von Nataly Bleuel
25. April 2018
Aber Mama, ich habe doch, sagt mein großer Sohn, nix zu verbergen!
WhatsApp, Google, Insta, Apple, Amazon und die Regierungen und Facebook dürften also ruhig seine Daten haben. Wobei, halt, Facebook nicht. Mein Sohn ist nämlich aus dem Facebook-Zeitalter raus – in seinem nutzen das nur Oldies wie die Mama und ihre fossilen »Freunde«, haha.
Ich habe ja nichts zu verbergen – nie hätte ich gedacht, dass mich dieser Satz ein Leben lang verfolgen würde. Er zog sich durch die Achtzigerjahre wie eine Fleischfaser, die man nicht aus den Zähnen kriegt. Parallel zu dem Satz, der schon eher Sinn machte: Warum habt ihr nichts getan? Wir haben dann in der Schule George Orwells »1984« gelesen und drei Jahre später fand doch die Volkszählung statt, gegen die einige viel, aber viele auch gar nichts hatten: weil, sie hatten ja nichts zu verbergen. Komplexe Zusammenhänge, lange Geschichte. Wie verklickere ich das jetzt einem Naiven, also in dem Fall leider meinem Sohn?
Du hast also nichts dagegen, wenn Google weiß, wann du aufstehst, dass du Cerealien von Kellog‘s likst, wann du zur Schule gehst und mit welchem Fortbewegungsmittel, wann und wo du deine Mittagspause machst, was du in deiner Freizeit tust und wann du ins Bett gehst?
Nö, is‘ ja kein Verbrechen.
Es ist dir total egal, dass Google weiß, mit welchem Geschlecht du dich identifizierst, wie alt du bist, welche Musik du hörst, welchen Verein du magst und welche Klamotten, wie viel du wiegst und wie viele Schritte du am Tag machst und ob dein Herz dabei klopft?
Ich steh‘ zu Werder Bremen! Das darf alle Welt wissen!
Die dürfen deine Daten verkaufen, damit nicht nur H & M, sondern auch Supreme, Nike, Porsche und Präsidentschaftskandidaten wie Donald Trump dein Wahlverhalten beeinflussen können?
Ich muss mich doch nicht für meine Haltung schämen? Ihr sagt immer, man muss Partei ergreifen! Und richtig wählen!
Du würdest genauso wie alle anderen, die sich mal ganz schnell ganz heftig, aber eben auch ganz kurz nur erregen über die Skandale bei Facebook, VW, Audi, Porsche, H & M oder WhatsApp, einfach stur weiter bei denen konsumieren, Autos kaufen und Klamotten und deine Daten verschenken, auf dass die damit Milliarden verdienen wie im Wilden Westen, wo sie auch glaubten, dass sie über dem Gesetz stehen, und überhaupt, dass Gesetze nur dafür da sind, ihre großartigen merkantilen Freiheiten einzuschränken? (Yes, ich redete mich in Rage und hätte den Fokus auch gern noch auf die Datenschutzverordnung gelenkt, die nun für etwas mehr Transparenz sorgen soll.)
Nee!, rief da mein Sohn, H & M und Primark boykottiere ich!
Und da hatte ich plötzlich eine Idee. Kurz bevor Primark in unserer Nähe eröffnete, kursierte die Meldung, eine arme chinesische Fabrikarbeiterin habe in die Tasche eines Primark-Rocks einen Zettel mit einem Hilferuf reinkassibert, auf dass alle Welt erfahre, was für ein fieser Ausbeuterkonzern das ist. Mein Sohn hat daraufhin nicht einen Schritt in diesen Laden getan und »die Rassisten« von H & M boykottiert er ja nun auch. Obwohl ich vermute, dass es einfach nur seinem Konsumverhalten zupasskommt, er fokussiert sich momentan auf das höherwertige Preissegment. Aber klar ist: Der Mensch ändert sein Verhalten erst, wenn es ihm sicht- und fühlbar an den eigenen Kragen geht. Und nun wusste ich, wie ich ihn ausknocken konnte – pirschte mich aber vorsichtig ran.
Wär doch unangenehm, sagte ich zu ihm, wenn man dich am Flughafen irgendwann mal nicht in die USA reinließe, oder? (Man hatte uns mal wegen eines fehlenden Passes nicht nach Paris fliegen lassen, schon da hatte er Rotz und Wasser geheult.)
Du meinst so wie auf dem Flug nach Paris?
Joah, oder wenn plötzlich ein Sondereinsatzkommando mit Vermummten und Maschinengewehren in deinem Zimmer steht?
Wieso?
Och, vielleicht weil sie deine Daten verwechselt haben? Oder weil jetzt plötzlich einer an der Regierung ist, der deine Daten anders nutzen lässt? Zum Beispiel bist du ja im Sprint nicht wirklich gut. Das kann Lebenszeit kosten. Dafür könnten die Krankenkassen höhere Beiträge von dir verlangen. Und warum pennst du jetzt eigentlich immer viel zu lang?
Mein Sohn starrte mich an, als wäre ich George Orwell. Und dann zog ich die Keule.
Ihr habt doch gerade in der Schule über Waffen in den USA diskutiert und darüber, warum da so viele Schülerinnen und Schüler einfach so erschossen werden.
Ja.
Hatten die was zu verbergen?
Nein!!
Also, die waren unschuldig – und mussten trotzdem dran glauben. Auch weil es keine Gesetze gibt, die das verbieten, eine gute Datenschutzverordnung zum Beispiel …
Spinnst du jetzt?, rief da mein Sohn, und ja, er darf das, wenn man rhetorisch zum Äußersten greifen muss.
Nee, nee, sagte ich, wenn du es einfach nicht kapieren magst, nur weil du weiter easy-peasy durch dein Datenkonsumleben surfen willst, muss ich zu harten Bandagen greifen, so wie die chinesische Wanderarbeiterin. Denn offenbar wirken gegen scheinbar abstrakte Daten, Zahlen und Fakten wie auch den Klimawandel nur »Natur«(!)-Katastrophen und krasse Fake News, und ich sage dir: Mark Zuckerberg verspeist Kinderhirne!
Da lachte mein Sohn, strich mir über den Kopf und sagte: Och, das ist aber unschön fürs Image. Tut mir echt leid für dich und deine »Freunde«.
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