Kann man ein Rassist sein, ohne dass man es will?

Von Nataly Bleuel
01. März 2018
Eigentlich nicht, habe ich meinem Sohn geantwortet, und da blickte er von seinem Smartphone hoch und fragte, was zu erwarten war, wenn man rumeiert: Und uneigentlich?
Uneigentliche Rassisten gibt es schon. Habe ich gedacht und gesagt habe ich es dann auch, denn mein Sohn ist so sophistischen Talk gewöhnt. Man kann ihn auch fischig nennen. Oder behaupten: War nur Ironie. Das machen meine Söhne oft, wenn sie nicht zu dem stehen wollen, was sie eigentlich gerade gesagt haben. Keine Ahnung, woher sie das haben. Ich jedenfalls finde es offiziell total blöd. Irony und uneigentliches Sprechen sind doch seit 1999 over.
Jetzt hast du aber schön um den heißen Brei rumgeredet, Mama, echt, sagte mein Sohn. Sind die von H & M jetzt Rassisten oder nicht?
Sein großer Bruder geht da nämlich nicht mehr hin. Weil die Rassisten sind. Behauptet er. Weil er sich damit cool fühlt. Eigentlich, glaube ich, ist es nur ein Vorwand, der ihm zupasskommt, denn er gerät gerade in das Alter, wo man lieber bei Tommy Hilfiger oder Louis Vuitton rumhängen würde. Schon aus Protest gegen die Eltern.
Also, sagte ich zu meinem Kleinen, so einfach kann man es sich nicht machen, weil es so einfach nicht ist, nicht immer und nicht mehr. Heutzutage wollen Neonazis keine Rassisten mehr sein und Antisemiten sowieso nicht (das übernehmen derzeit hirnverbrannte Nahostkonfliktspezialisten aus Berlin-Neukölln), die von der AfD auch nicht und Alexander Gauland ist sogar farbenblind: Er wusste ja gar nicht, hat er behauptet, dass Jérôme Boateng, den er einfach so aus Daffke nicht zum Nachbarn haben wollte, »farbig« ist.
Was soll »farbig« sein?, fragte mein Sohn.
Ach, sagte ich, das ist so ein Begriff von früher, als sich Leute wie Herr Gauland dem »öffentlichen Druck« der Bürgerrechtsbewegung beugen mussten, obwohl sie lieber weiter »Neger« gesagt hätten. Denn man darf ja gar nicht mehr sagen, was man denkt.
Also, sagte mein Kleiner, wären manche gern Rassisten, dürfen aber nicht?
Es ist, sagte da mein Großer, während er seine Lacoste-Strümpfe auszog, total out, Rassist oder Sexist zu sein.
Und manche tun sich damit sehr schwer, sagte ich, weil Rassismus oder Sexismus tief in ihnen drinstecken. In ihrer Geschichte, ihrem Denken, ihrer Wahrnehmung, ihren Urteilen und dann, ups, plobbt es manchmal aus ihnen raus: Coolest Monkey in the Jungle!
Also sind die von H & M jetzt doch Rassisten, obwohl sie es gar nicht sein wollen?
Das weiß ich nicht, sagte ich zu meinem Kleinen. Dafür müsste ich diejenigen, die das verbockt haben, kennen. Allerdings bräuchte es viel Souveränität und Goodwill, die Sache als Ironie abzutun. Dafür hatte sie zu viel Struktur.
Struktur?
Struktur heißt, es kann kein Zufall sein. Struktur heißt, dass dahinter ein Baugefüge steckt, das sich in dem Fall aus manichäischen Gegensatzpaaren zusammensetzt (manichäisch erklär ich jetzt nicht). Die Strukturen, nach denen man denkt, wahrnimmt und lebt, kann man sich bewusst machen. Das nennt man Emanzipation. Und diese Struktur, sage ich alte Strukturalistin, trat dadurch zutage, dass bei H & M neben dem Jungen mit dem Affen-Pulli ein Junge mit einem Pulli zu sehen war, auf dem stand: Jungle Survival Expert. Was sagst du dazu?
Ein Affe und ein Überlebender?
Yep.
Ein Wilder und ein Safarityp? Ein Dunkler und ein Heller?
Früher nannte man es »farbenblind«: Mein Sohn hat eine Rot-Grün-Sehschwäche und kann das Orange und das Hellgrün der Pullis nicht erkennen. So ähnlich, sagte ich. Und ein Rassist bist du, wenn du diese Gegensatzpaare mit Wertungen versiehst: gut − schlecht; schön − hässlich; schlau − dumm; unwichtig – wichtig. Dessen muss man sich in der Kommunikation bewusst sein und dann könnte man zu vorurteilsfreiem Denken, Sprechen und Handeln kommen. (Oder Sprechakten, aber auch das ist für Fortgeschrittene.)
Okay, sagte mein Kleiner, also: ein cooler Typ und ein dämlicher Experte?
Da lachte mein Großer, dieses kieksende Gackern, das er lacht, wenn ihn eine sophistische Volte erfreut. Er ruft dann immer: Mama! Mit diesem Unterton: AchduschnuckligeMamakommmalwiederrunter! Und da sagte ich, dass ich ja sagte, dass es nicht so simpel ist, weil es nämlich momentan auch sehr IN ist, andere, die man nicht kennt und von deren Haltung man keine Ahnung haben kann, weil sie einfach nur entfernt Sprechende im Netz sind, schwuppdiwupp als Rassisten zu bezeichnen. Weil das ein garantierter Megaaufreger ist und Megaaufregung ist gerade auch sehr angesagt, man kann es auch Sensationslust nennen oder den Kick auf der hysterischen Welle.
So wie ich mich mega aufregen würde, wenn mein Sohn um Louis-Vuitton-Slipper rumschliche und die Frau an der Kasse als Bitch bezeichnete. Und wenn ich dann tief Luft holen würde, um mal seine Struktur zurechtzurücken, aber so was von, dann würde er kieksend gackern und rufen: Ach, Mama! War doch nicht so gemeint!
Womit ich nicht sagen will, dass H & M nur provozieren wollte. Für so dämlich würde ich niemanden halten. Wollen.
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