Moral im Arbeitsalltag ‒ ist ein Hinweisgebersystem wirklich notwendig?

Ludwig Breihofer, Nur Baute
31. August 2016
»Der größte Lump im ganzen Land ist und bleibt der Denunziant«, so reimte Hoffmann von Fallersleben Mitte des 19. Jahrhunderts. Heute wird das Thema des Hinweisgebens, auch Whistleblowing genannt, kontrovers diskutiert. Doch müssten Menschen, die uneigennützig für Recht und Ordnung sowie für das Gemeinwohl der Gesellschaft in die Bresche springen, nicht eigentlich als Helden gefeiert werden? Der Fall der explodierten NASA-Raumfähre »Challenger« vor 30 Jahren hat deutlich gezeigt, dass Whistleblowing-Systeme zum Schutze des Gemeinwohls unabdingbar sind: Vor dem Start hatte der Ingenieur Boisjoly das Management vor porös gewordenen Dichtungsringen gewarnt. Doch seine Warnung sollte kein Gehör finden. Zu wertvoll war der NASA das Prestigeprojekt.
Die Lösung des Problems
Einige Unternehmen haben es bereits integriert: ein Whistleblowing-System. Dabei handelt es sich um die Institutionalisierung des Hinweisgebens innerhalb einer Organisation. Dies hat zum Ziel, jeglicher Form von Wirtschaftskriminalität entgegenzuwirken. Es wird unterschieden zwischen internem und externem Whistleblowing. Unter internem Whistleblowing versteht man die Weitergabe von Informationen über einen vermeintlichen Missstand an eine Hinweisgeberstelle innerhalb einer Organisation. Beim externen Whistleblowing wird eine Stelle außerhalb des Unternehmens eingerichtet, der ein Fehlverhalten berichtet werden kann. Dazu werden unabhängige Ombudsmänner eingesetzt, wie zum Beispiel Rechtsanwälte, die den Sachverhalt prüfen sollen.
Ungleichmäßige Informationsverteilung als Ursache für Wirtschaftskriminalität
Der Auslöser für Wirtschaftskriminalität kann oftmals in dem Prinzipal-Agenten-Konflikt gesehen werden. Die Problematik besteht darin, dass es häufig zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer zu Informationsasymmetrien kommt, wobei der Auftragnehmer in der Regel einen Informationsvorsprung hat, den er ausnutzen könnte, um damit seinen eigenen Nutzen zu maximieren. Ein Whistleblowing-System kann dabei eine Art Kontrollfunktion einnehmen und dazu dienen, das Konfliktpotenzial zwischen beiden Parteien zu senken.
Wirtschaftskriminalität nach wie vor sehr verbreitet
Doch bedarf es wirklich eines solchen Kontrollmechanismus? Sollte das Thema nicht eigentlich durch Compliance-Richtlinien und eine Unternehmenskultur, bei der ethisches Verhalten sowie das Wohl des Nächsten als oberste Maxime steht, abgehandelt sein? Hier belehrt uns die Realität leider eines Besseren. Laut einer aktuellen KPMG-Studie war in Deutschland im Jahr 2015 mehr als jedes dritte Unternehmen von Wirtschaftskriminalität betroffen (36 Prozent), von den großen Unternehmen sogar 45 Prozent. Dabei entstand insgesamt ein Schaden von 2,8 Milliarden Euro.
Organisationen müssen proaktiv handeln
Scheinbar bestimmen Ethik und Moral trotz Anstieg des Nachhaltigkeitsbewusstseins noch immer nicht das Handeln deutscher Unternehmen. Demnach bedarf es Kontrollmechanismen, wobei Hinweisgebersysteme eine gute Möglichkeit darstellen, der enormen Fülle an Straftaten entgegenzutreten. Organisationen haben dadurch den Vorteil, Wirtschaftskriminalität frühzeitig zu erkennen, wodurch drohenden Strafzahlungen und Reputationsschäden vorgebeugt werden kann. Außerdem hat die aktive Auseinandersetzung mit dem Thema einen positiven Effekt auf die Unternehmenskommunikation. Wenn noch mehr Unternehmen funktionierende Whistleblowing-Systeme einführen, können der Gesellschaft vielleicht in Zukunft weitere Katastrophen erspart bleiben. Der Aufbau eines entsprechenden Systems ist zwar nach deutschem Recht keine Pflicht, jedoch fällt es definitiv in den Verantwortungsbereich von Organisationen. Das Wichtigste dabei bleibt, die Anonymität des mutigen Whistleblowers zu wahren, um diesen vor Repressalien und dem öffentlichen »Lynchen« – so wie im Fall Edward Snowden – zu schützen. Dazu eignet sich am besten ein System mit einem externen Ombudsmann.
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