Muss Papa nicht arbeiten?

Von Nataly Bleuel
22. Juni 2018
 
Du, Mama, tuschelt mein Sohn die Tage und zeigt aus dem Fenster: Wieso liegt der Papa eigentlich am helllichten Tag in der Hängematte? Muss der nicht arbeiten?
 
Nö, sage ich und packe so viel selbstverständliche Nonchalance in meinen Ton, wie mir irgend möglich ist als superdisziplinierte, turboberufstätige, hypereffiziente Powermutter, die ihren Max Weber mit seiner blöden protestantischen Arbeitsethik so tief intus hat, dass sie niemals einfach so an einem Werk(!)tag abhängen würde. Der hat doch genug gearbeitet?
 
Am Ende des Satzes schlingere ich in der Tonlage hoch, sodass aus einem überzeugenden Ausrufesatz wieder eine unsichere Frage wird. Weil mich der Neid treibt. Ich bin nämlich neidisch auf diesen Mann, der einfach so mit seiner Zeitung abhängen kann. Der den Computer zuklappt, wenn er die hinreichende Balance zwischen Zeitaufwand und Produktivität gefunden hat. In einem Paar Schuhe fünf Jahre lang rumläuft, drei T-Shirts hat und die eine Tasche von vor 20 Jahren − und nie, nie, niemals Kaufrausch hat und auch nicht, wie ich, die Frage auf den Lippen: Sollen wir nicht mal ‘nen neuen Sonnenschirm kaufen?
 
Mir gelingt das nicht. Ich muss immer weiter, immer schneller, immer mehr. Wie unsere Ideologie, die durch jede meiner Zellen pulsiert wie Gift: Ohne Wirtschaftswachstum kein Wohlstand und ohne den von mir, ja: mir!, erwirtschafteten Mehrwert kein Wirtschaftswachstum. Ohne Immer-weiter-Machen − tspfff, Luft raus, Existenz weg, no more Platz an der Sonne, und Essen und Klamotten kaufen könnte ich dann auch nicht mehr, wir wären alle im Arsch und der Nagellack von Yves Saint Laurent sowieso passé.
 
Und das ist auch gut so, sage ich nach der Denkpause zu meinem Sohn, und zwar mit möglichst viel Brustton der Überzeugung.
 
Er blickt mich fragend an, er hat meine Unsicherheit gespürt, und klar kommt jetzt: Was ist denn daran gut?
 
Wenn man mal nichts tut, wenn man mal bremst! Denn je mehr wir arbeiten, desto mehr verdienen wir. (Zumindest theoretisch, denke ich als neoliberales Akkumulationsopfer, aber das dem jungen Mann zu offenbaren, wäre jetzt zu entmutigend.) Und desto mehr konsumieren wir, und das ist scheiße, weil mit all dem überflüssigen Konsum machen wir unsere Welt kaputt. Wir kaufen gepolsterte Gartenmöbel, wir kaufen plätschernde Zierspringbrunnen, wir kaufen Einweggrills und in Plastik gepackte Schweinenackensteaks und dann schmeißen wir das Plastik weg und den verstopften Brunnen und die angeknacksten Sessel und den Grill sowieso, damit wir uns alles neu kaufen können, und im Winter fliegen wir in die Sonne. Das Plastik verstopft die Meere und die Tiere, unsere Secondhandklamotten türmen sich zu Bergen, die nicht mal die Ärmsten alle auftragen können und wollen, und bald brennt der Globus von unserer Überhitzung wie eine Sonnenkugel.
 
Mhmm, murrt mein Sohn zugetextet.
 
Also, sage ich und erhebe mit meinem Tonfall den Zeigefinger, der eigentlich mir gelten sollte: Arbeite dich nicht zu Tode, nur weil sie dir einbläuen, du wärst da, um zu konsumieren und damit die Wirtschaft wächst. Nimm dir das Recht auf Faulheit! Mach’s wie dein Paps: Lass dich in der Hängematte baumeln!
 
Dass wir in Deutschland auch mit wenig Arbeitsstunden äußerst produktiv sind, verschweige ich eben. Und dass ich fürchte, ein Arbeitgeber könnte sagen, lass uns mal lieber dein Honorar reduzieren, damit du mit all deinem geshoppten Kram nicht die Welt verpestest, sage ich natürli au n und dan klappe i den Comp z und knall Sonne


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