Nachhaltigkeit in die deutsche Verfassung aufnehmen – eine Chance für alle

Gabriele Faber-Wiener, Center for Responsible Management
07. Juli 2016
 
Das Prinzip der Nachhaltigkeit soll in die deutsche Verfassung aufgenommen werden. Am 8. Juni 2016 sprachen sich die Experten, die zur öffentlichen Anhörung des parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung geladen waren, für die Aufnahme des Staatsziels Nachhaltigkeit ins deutsche Grundgesetz aus. Durch die Anfang 2016 etablierten Nachhaltigkeitsziele der UNO, die sogenannten Sustainable Development Goals, hatte dieser schon länger existierende Gedanke neuen Auftrieb erhalten. Der deutsche Rechtswissenschaftler Joachim Wieland hat kürzlich ein Gutachten veröffentlicht und die Umsetzungsmöglichkeiten untersucht ‒ mit einem klaren Ergebnis.
 
Staatsziel Nachhaltigkeit
 
Wieland schlägt vor, Nachhaltigkeit als übergeordnete Staatszielbestimmung in der Verfassung zu verankern, mit dem einfachen, aber wirkungsvollen Wortlaut: »Der Staat beachtet bei seinem Handeln das Prinzip der Nachhaltigkeit.« Damit steht die Nachhaltigkeit gleichwertig neben den anderen, bereits festgeschriebenen Verfassungsgütern wie etwa der Religionsfreiheit, der Meinungsfreiheit oder der Berufsfreiheit.
 
Dieser Vorschlag ist absolut zu begrüßen, birgt er doch eine Reihe von Chancen. Tritt das Prinzip der Nachhaltigkeit in Kraft, müssen alle drei Staatsgewalten nicht mehr nur implizit, sondern auch explizit die Interessen von künftigen Generationen berücksichtigen. Das heißt, dass sich der Verantwortungsrahmen erweitert, es muss in Zukunft nicht nur viel mehr nachgedacht, sondern auch viel mehr argumentiert werden, warum man so und nicht anders entscheidet.
 
Damit erweitert dieses Prinzip auch den Horizont aller Beteiligten – ein schöner Nebeneffekt. Und genau diesen weiteren Horizont brauchen Politiker und Verwaltungsorgane heute mehr denn je. Eingefahrenes Denken führt zu engstirnigen Entscheidungen, und genau das kann mit einem derartigen Prinzip aufgebrochen werden.
 
Eine große Kraft dieses Vorstoßes steckt aber nicht nur in einer größeren Achtsamkeit, sondern in dem damit verbundenen Auftrag zur permanenten Reflexion und Weiterentwicklung. Das sieht auch Wieland in seinem Gutachten so: Das Nachhaltigkeitsprinzip »stellt Daueranforderungen an alle drei Staatsgewalten, die nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt erfüllt sind, sondern den Gesetzgeber, die Verwaltung und die Rechtsprechung immer wieder neu fordern«.
 
Nachhaltigkeit als oberstes Prinzip bedarf einer Kommunikationsoffensive
 
Derzeit versteht unter Nachhaltigkeit jeder etwas anderes, auch bei den Entscheidern. Daher muss man als ersten Schritt den Begriff gemeinsam diskutieren und definieren, vor allem für diejenigen im Staat, die dieses Prinzip anwenden sollen. Sie brauchen klare Reflexionsprozesse und Hilfestellungen. Es einfach festzuschreiben und zu verordnen ist zu wenig.
 
Das wiederum geht aber nur, wenn auch ein öffentliches Verständnis von Nachhaltigkeit greift – und dieses Verständnis ist derzeit nur teilweise vorhanden, trotz Wertewandel. Das heißt: Die Implementierung in der Verfassung muss Hand in Hand gehen mit einer großen Kommunikationsoffensive, was den Begriff der Nachhaltigkeit, ihren Wert und ihre Bedeutung betrifft. Und das ist die vierte große Kraft der Verankerung von Nachhaltigkeit im Grundgesetz: Sie bietet die einmalige Chance, das eingerostete und kopflastige Konzept der Nachhaltigkeit neu zu beleben.
 
Last, not least: Nachhaltigkeit wird momentan sehr stark der Wirtschaft umgehängt – dort wird es aber eher als lästig und parallel zum eigentlichen Auftrag gesehen. Eine nachhaltige Entwicklung herbeizuführen ist letztlich ein Ziel der gesamten Gesellschaft, und somit ist es ganz klar die Verantwortung der Politik, die gesetzlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen.
 
Also – worauf warten wir noch? Hinein damit in die Verfassung!
 
↗ Rechtsgutachten Prof. Prof. Dr. J. Wieland, Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer
 
↗ Mehr zur Bundestagsdebatte am 8. Juni 2016


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