Siegel als Vertrauensgarant?

Ellen Weiland, Nur Baute
04. August 2016

 
Es werden immer mehr. Wir haben uns daran gewöhnt. Die Welt der Siegel umhüllt uns, sie gibt uns Orientierung, hilft uns bei Kaufentscheidungen.
So wird es zumindest behauptet. Doch was steckt wirklich dahinter?
 

Vertrauen bestimmt die Beziehung zwischen Hersteller und Konsument

In einer zunehmend durch Globalisierung geprägten Warenwelt entsteht ein immer komplexeres Geflecht aus verschiedenen Akteuren. Lieferketten sind verzweigter als jemals zuvor. Das erschwert eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Hersteller und Konsument. Und das Vertrauen spielt bei deren Interaktion eine große Rolle. Letztendlich vertraut der Konsument darauf, dass der Hersteller die bestmögliche Qualität eines Produktes anstrebt, und belohnt ihn im Idealfall mit einer zuverlässigen Kundenbeziehung. Aufgrund der Unüberschaubarkeit der Handlungsketten und geteilter Befugnisse setzte sich aber zunehmend ein Vertrauensmodell durch, welches als operationalisiertes Vertrauen bezeichnet werden kann. In die Beziehung von Hersteller und Konsument sind Monitore – in Form von Siegeln, Zertifikaten, Awards, Rankings – zwischengeschaltet, die den ordnungsgemäßen Umgang des Herstellers mit der ihm anvertrauten Verantwortung überprüfen und damit als »Vertrauensgarant« wirken.
 
Es entsteht dabei eine Dreiecksbeziehung, bei der die Monitore zum einen durch den Konsumenten legitimiert werden, indem er ihnen Glauben und Vertrauen schenkt – ihnen quasi Verantwortung gibt –, dass sie den Hersteller beziehungsweise das Produkt korrekt überprüfen. Andererseits legitimiert der Hersteller selbst die Monitore, indem er vertrauliche Daten übermittelt und damit gleichsam die Verantwortung an sie abgibt.
 

Wer überprüft die Überprüfung durch das Siegel?

Die Messbarkeit von Vertrauen wird durch die als unabhängig wahrgenommene Tätigkeit der Monitore möglich. Doch haben sowohl der Hersteller als auch der Konsument die Pflicht, die verwendeten Daten zu prüfen. So sollte das Siegel hohe Anforderungen an die Standards und Richtlinien haben, die erfüllt sein müssen, um es zu erhalten. Bei einem Siegel sollte das verifiziert werden, was es verspricht zu prüfen. Und dies setzt ein vollumfängliches Wissen voraus, welches der Konsument in der Regel nicht hat. Es zeigt sich auch hier sehr deutlich, dass die Monitore wiederum eines Vertrauensvorschusses durch Hersteller und Konsument bedürfen, es handelt sich quasi um eine Auslagerung des Vertrauens.
 

Der Wald an Siegeln verwirrt

Der Konsument erhält in dieser Dreiecksbeziehung sicherlich mehr Transparenz über das Produkt, aber die Vielfalt der Siegel verwirrt, die Standards eines Siegels sind schwer überprüfbar. Der Konsument vertraut am Ende darauf, dass das Siegel vertrauenswürdig ist. Für ihn besteht bedauerlicherweise nicht mehr Klarheit als vorher.
 
Genau dies können Hersteller für sich nutzen. Statt Glaubwürdigkeit durch verantwortungsvolles Handeln und Integrität zu erzeugen, können sie das Siegel, welchem vertraut wird, als Mittel zum Zweck nutzen. Folglich können auch Monitore das Vertrauen von Kunden enttäuschen, wenn sie nicht aus ethisch korrekten und integren Gründen vergeben werden, sondern andere Motive wie Vorteilnahme oder Gewinne im Vordergrund stehen.
 

Vergabe des Fairtrade Awards an Lidl fragwürdig

Jüngstes Beispiel für eine solche verwirrende Dreiecksbeziehung ist die Vergabe des ersten Platzes des Fairtrade Awards 2016 in der Kategorie »Handel« an den Discounter Lidl. Fairtrade ist ein hoch geachtetes Siegel, dem sehr viel Vertrauen seitens der Konsumenten entgegengebracht wird. Lidl auf der anderen Seite ist in den letzten Jahren vor allem durch negative Berichterstattung – Mitarbeiterskandale und eine knallharte Einkaufs- und Preispolitik ─ aufgefallen. Wie passt das zusammen? Dazu sollte man sich den Standard der Auszeichnung näher anschauen.
 
Lidl hat nach eigenen Angaben in seinen 3.200 deutschen Filialen 1.600 Artikel im Angebot. Zur Begründung der Vergabe des Fairtrade Awards heißt es vonseiten des Monitors (TransFair), dass es beim Discounter Lidl als erster Handelskette in Deutschland seit 2006 Produkte unter der Fairtrade-zertifizierten Eigenmarke Fairglobe gebe. Den Preis erhielt das Unternehmen somit für das zehnjährige Jubiläum und den Fakt, dass es 20 Fairglobe-Produkte im Angebot hat, was einem Anteil von 1,25 Prozent aller angebotenen Produkte entspricht. Bei einer Gesamtzahl von 20.000 gehandelten Fairtrade-Produkten ist das ein geringer Anteil. Angesichts der Tatsache, dass es in Deutschland viele Akteure in der Kategorie »Handel« gibt, die mehr Fairtrade-Produkte führen oder sich sogar in ihrer gesamten Geschäftstätigkeit nachhaltig und als fairer Handelspartner verhalten, müsste dieser erste Preis für Lidl beim aufgeklärten Konsumenten ein müdes Lächeln und verringertes Vertrauen in das Siegel erzeugen.


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