Was hat Kinderarbeit mit mir zu tun?

Von Nataly Bleuel
05. Juli 2017
 
Hey Mama, sagte mein Kleiner, als er neulich von der Oma zurückkam, die Oma hat echt ein Rad ab.
 
Da habe ich in mich reingegrinst, möglicherweise auch aus mir heraus. Denn ja, die Oma kann ganz schön – und ich könnte hier noch viele weniger euphemistische Adjektive auflisten – nerven. Da habe ich, sagte er, einmal das Risibisi mit den Klopsen nicht ganz aufgegessen und schon fängt sie wieder an: mit den armen Kindern, die dafür hungern und schuften mussten. In »Biafra«, dazu machte er Anführungsfingerzeichen.
 
Aber was, sagte mein Sohn und sah mich grinsend an, im Glauben, ich würde seine Frage eine rhetorische sein lassen, was hat das mit mir zu tun?
 
Ich habe kurz gezögert. Ob wir heute mal einen ironiefreien Tag einlegen sollten? Weil die Omas und Opas ja eigentlich recht haben mit ihrem Risibisi und ihrem Biafra (wir lassen die hier als Metaphern stehen). Doch da ich meinen Sohn nun mal falsch erzogen habe mit all dem gegenteiligen Gerede, kann man ihm mit Ernst kaum mehr kommen.
 
Ich kann nicht sagen, na, ist doch ganz einfach: Biafra und Risibisi stehen in direktem Zusammenhang, denn deine Klopse sind aus Kuh; Kühe verbrauchen viel Energie; um die aufzubringen, gelangen sehr viele Gase in die Luft; dadurch wird es zu warm auf der Erde und dann trocknen die Böden aus und die Menschen können keinen Reis und keine Erbsen mehr anpflanzen; und was macht man, bevor man verhungert?
 
Ich geh dann zur Oma, würde mein Sohn sagen.
 
Weil er nicht einsehen wollen würde, dass man auch mal ernst reden muss. Vielleicht könnte ich es noch wuppen, indem ich sagte: Okay, die Menschen wandern dahin, wo es wahrscheinlich was zu essen gibt. Ich könnte versuchen mir und der Sache mit für ihn schwer verständlichen, also Ehrfurcht einflößenden Sätzen aus der Zeitung Respekt zu verschaffen: »Das Büro zur Katastrophenvorsorge der Vereinten Nationen fand im Rahmen einer über zehn Jahre dauernden Untersuchung heraus, dass 87 Prozent aller Naturkatastrophen einen Zusammenhang mit dem Klima aufwiesen. Insbesondere die Menschen in den Entwicklungsländern sind betroffen und müssen sich damit arrangieren, dass das Ökosystem um sie herum kollabiert.« Also, könnte ich schlussfolgern, ziehen die Menschen umher, um zu überleben. Und hinzufügen, dass dabei alle helfen müssen, auch die Kinder. Sie müssen Wasser holen, Früchte ernten, Baumwolle pflücken, Teppiche knüpfen, in Minen und auf Müllhalden buddeln und bei besseren Leuten im Haushalt arbeiten, auch schon mit zwölf, wie du. Und wenn sie arbeiten, können sie nicht zur Schule gehen so wie du.
 
Sie verhungern also nicht nur, könnte ich sagen, weil du zu viel von den Klopsen hast. Sondern, very big Drohkulisse, 168 Millionen Kinder arbeiten dafür. Man könnte das eine »fatale Verkettung ungünstiger Umstände« nennen, würde ich sagen und Anführungsfingerzeichen machen. Obwohl das gar nix, nullinger, mit Schicksal zu tun hat. Weil der Mensch kann nämlich kontrollieren, ob Kinder bei der Arbeit ihre Finger »im Spiel« haben, im Teppich, im T-Shirt, im Smartphone. Und das nennt man Lieferkette.
 
Also, könnte ich sagen: Weil wir das Klima ruinieren, gibt es noch mehr Kinderarbeit. Weil es dir zu gut geht, geht es ihnen schlecht. Weil wir reich sind, sind sie arm. Weil du Klopse wegschmeißt, kriegen die keinen Reis zu essen. So einfach ist das.
 
Stattdessen aber sagte ich, und ich gestehe, auch um mich einzuschleimen: Die Oma ist so blöd! Die Welt ist ja viel zu kompliziert! Das will die einfach nicht kapieren! Naturkatastrophen, Armut und Krieg haben überhaupt nichts mit uns zu tun! Sei froh! Weiter so! Hau se weg, die Klopse mit dem Risibisi!
 
Mein Kleiner löffelte in seinem Müsli. Man hörte das Klappern seines Löffels in der Schale. Ich sagte nichts, hielt die Luft an und hoffte auf die anti-mäeutische Reaktion. Er schüttete noch eine Portion Müsli nach, und als er diese ausgekratzt hatte, stand er auf, nahm seine Schultasche und anstandslos die Mülltüte, ohne wie erwartet zu kontern: Das ist aber Kinderarbeit!
 
Dann spazierte er aus der Tür hinaus, und bevor er sie zuzog, steckte er noch einmal den Kopf herein und rief: Schon klar, und den Klimawandel gibt’s auch nicht!
 
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