Wer ist ein Held?

Von Nataly Bleuel
24. Januar 2018
Wer ist ein Held?, wurde mein Sohn in der Schule gefragt.
Und als er mir davon erzählte, schoss mir Bert Brecht durch den Kopf. Den kann ich quasi im Schlaf, traurig ein Land, das Helden braucht, dachte ich, und dass es offenbar wieder so weit ist, Untergang des Abendlandes und so weiter. Doch ging es gar nicht um Brecht, sondern um den anderen Macho, Odysseus.
Wir sollten die Frage beantworten, sagte mein Sohn, ob Odysseus ein Held ist.
Na klar, dachte ich, griechischer Held number one. Doch offenbar funktioniert das in der Schule, heute in Berlin, anders als in meiner Schule, früher in Bayern.
Odysseus, rief mein Sohn, ist doch kein Held – der ist ein Arsch!
What?, rief ich, und dass der doch die Welt bereist und Gegner besiegt und den bösen Zyklopen erledigt und verheerenden Verlockungen widerstanden habe! Ein starker Mann war das, rief ich, ein Siegertyp, ein Held!
Quatsch, murrte mein Sohn, der Odysseus war ein Egoist! Guck doch mal: Der wollte seine Freunde erst allein in den Krieg ziehen lassen, der hat seine Frau allein zu Haus gelassen, der hat einfach ein Jahr lang mit der Kirke rumgeturtelt und der hat seinen Freunden die Ohren zugestopft, sodass nur er den wunderschönen Gesang der Sirenen hören konnte − und sie nicht! Der hat da nur an sich gedacht! Und als er endlich heimkam, waren alle seine Freunde tot und er hat auch noch die Liebhaber seiner Frau um die Ecke gebracht!
Ehrlich gesagt drohte unser sonst so spritziger Dialog hier in ein tiefes Loch zu fallen. So dermaßen blieb mir die Spucke weg: Was die den Jungs heute beibringen! Eigenständiges Denken, Solidarität und totale Weicheierhaftigkeit?
Und dann setzte mein Sohn noch eins drauf, indem er hinzufügte: Dein Odysseus hat einfach nicht an die Gemeinschaft gedacht.
Natürlich wusste er, dass das bei seiner Mutter ganz schlecht ankam. Also blickte er mich erwartungsvoll an und da konnte ich die Kurve kratzen, um meine rhetorische Autorität wiederherzustellen, und sagte: Stimmt, hast recht, die wahren Helden sind die, die nicht nur an sich und ihren Gewinn, ihren Sieg, ihr Ego denken, sondern an die Gemeinschaft, die Umwelt, die Gerechtigkeit und die Solidarität.
Aha, murrte da mein Sohn, semibefriedigt, und was hat das mit Odysseus zu tun?
Sehr viel, rief ich. Beim Heldentum geht es, wie du schon sagst, um den Einsatz für die Gemeinschaft. Und »Ökonomie« kommt auch aus dem Griechischen. »Oikos« heißt »Haus« und »Nomos« »Gesetz«. Und die Gesetze des Hauses, in dem alle leben − Frau, Mann, Kinder, Familie, Freunde und Haus- und Feldsklaven und nicht nur dem Hausherrn sein Ego –, sollen so verfasst sein, dass alle gut darin leben können, ohne die Grundlagen, auf denen sie wohnen, dem Erdboden gleichzumachen.
Boah, sagte mein Sohn, da hast du jetzt echt noch mal die Kurve gekratzt.
Tja, sagte ich und blickte ihn erwartungsvoll an, und da erwiderte er wie bestellt, aber doch viel zu ironisch: Bist echt ’ne Heldin.
Mehr über die wahren Nachhaltigkeits-Helden finden Sie hier.
Zurück zum Blog