Wofür brauchen wir ein Auto?

Von Nataly Bleuel
03. August 2017
Hey Mama, sagte mein Sohn kürzlich, wofür brauchen wir eigentlich ein Auto?
Tja, wofür könnten wir das brauchen, dachte ich. Und dass wir damit halt den Opa glücklich machen könnten. Der Opa gehört zu jener Generation, für die ein Leben ohne Auto keines ist. Zum Leben gehört eine Schrankwand, eine Hausfrau und ein Auto und am besten alle zwei Jahre ein neues, der Opa hat Autos upgedatet wie wir Apps. Aber seit fünf Jahren versteht er die Welt nicht mehr. Da wäre sein Enkel bei einem Unfall beinahe gestorben und seither leben wir ohne Auto, einwandfrei. Für den Opa ist das wie eine Provokation. Als würde man jemandem seine Freiheit nehmen, seine Leidenschaft und sein Lieblingshobby, alles zusammen, seine Würde halt.
Ich glaube ja, hätte ich zu meinem Sohn sagen können und das wäre auch auf den anderen Opa gemünzt gewesen, der Nonno heißt und im hohen Alter noch seinen »italienischen Fahrstil« pflegt, Opa ist einer von den Männern, die glauben, ein Auto mache sie zum Mann. Ich glaube, wäre der Sohn vom Opa eine Frau, dann bekäme er sogar einen SUV. Der SUV ist für Männer wie den Opa irgendwie der Inbegriff eines modernen, emanzipierten Pfundsweibs, wuchtig, laut, schwer und irre viel saufen kann es auch.
Jetzt aber Schluss mit dem Psychologisieren. Auch wenn es hochinteressant ist. Denn wir sind ja die Autonation. Unser Wohlstand, unsere Zukunft, unser Selbstverständnis hängen vom Auto ab.
Wir könnten mit dem Auto zum Einkaufen fahren, sagte ich zu meinem Sohn.
Aber die Läden sind doch alle im Viertel.
Wir könnten mit dem Auto an den See fahren.
Dahin können wir auch radeln.
Wir könnten in den Urlaub –
− Ich fahr mit der Bahn!
Ich könnte dich wie eine anständige Mutter zu deinen Fußballspielen fahren.
In meinem Verein gibt es genug anständige Mütter, die mich mitnehmen.
Wir könnten eben mal zum Arzt, zur Schule, ins Kino.
Aber dafür gibt’s doch Fahrräder, Busse, Trambahnen, S-Bahnen und Carsharing, ihr fahrt ja dauernd damit rum.
Ein Auto der Zukunft fährt von selbst und wir könnten dann die Stunde auf dem Weg zur Arbeit im Auto unsere Freizeit genießen, Zeitung lesen, daddeln, so was (das und anderen Quatsch hatte ich bei einem »Mobilitätsvisionär« aufgeschnappt).
Aber ihr arbeitet doch eh meistens zu Hause!
Na gut, sagte ich, und da ich spürte, dass ihm das Gerede allmählich zu blöd wurde, zog ich das vorletzte Register: Wir könnten uns einfach in unser Auto setzen, deine Musik aufdrehen und ziellos durch die Stadt cruisen, um uns wild und frei zu fühlen!
Hä?
Mein Sohn starrte mich an. Man nennt das Kulturbruch. Oder auch Untergang des Abendlands Schrägstrich der Autonation. Wenn sich die Werte der Alten und die Flausen der Jungen so dermaßen weit voneinander entfernt haben, dass es ist, als würden sie auf verschiedenen Planeten leben. Auf dem meines Sohnes gibt es kein Auto.
Ich stellte mir den armen Opa vor. Wie er den Kopf schütteln würde, weil er seinem Kind und seinem Kindeskind so gern eines kaufen würde. Ich war, hatte er vor kurzem einmal frohlockt, schon im Autohaus! Mein Sohn hatte den Kopf geschüttelt, »Autohaus«. Und der Opa hatte gesagt, ja aber der Versicherungsrabatt geht nach fünf Jahren autolosen Lebens verloren, und das wäre ärgerlich, denn ihr könntet so billig Auto fahren! Aber, hatte ich erwidert, das Auto zu kaufen, ist doch schon arschteuer. Auf Opas Planet rechnet man auch anders.
Also zückte ich das Totschlagargument, ich will meinen Sohn doch im Argumentieren trainieren und das »Hä?« − hohe rhetorische Kunst der pseudo-bornierten Gegenfrage – hallte provozierend in mir nach.
Wir müssen ein Auto kaufen, sagte ich, sonst gehen Arbeitsplätze verloren.
Wieso?
Ganz viele Menschen in Deutschland, 40 Prozent der deutschen »Wirtschaftskraft«, leben vom Autobauen. Also müssen wir ein Auto kaufen und am besten zwei oder drei − weil sonst eine Million Menschen ihre Arbeitsplätze verlieren!!!!!!!!!!!!!!!!
Wir müssen Autos kaufen, die die Erde, die Tiere und die Menschen kaputt machen, damit Arbeitsplätze gerettet werden? (Langer Satz für meinen Sohn, er schoss aus ihm heraus.)
Ja.
Aber das ist doch …
Arbeitsplätze sind wichtiger.
Hä?
Ja! Sonst geht Deutschland unter und deshalb müssen wir leider auch weiter Kohle aus der Erde buddeln und die Luft verpesten.
Weil wir sonst Arbeitsplätze verlieren?
Ja.
Und wir können keine umweltfreundlichen Autos bauen?
Nein, das können andere besser.
Wieso?
Weil es ihnen wichtig ist.
Und uns nicht?
Nein, unseren deutschen Autobauern ist die Kohle wichtiger. So wichtig, dass sie dafür die ganze Welt bescheißen.
Aber davon haben sie ja nichts, wenn die Welt kaputt ist.
Nein.
Hä?
Das kann denen egal sein, die leben dann ja nicht mehr.
Aber ich!
Mein Sohn schwieg. Man konnte sehen, wie es in seinem Gehirn arbeitete, und ich muss gestehen, ich kam mir auch gerade extrem unlogisch und blöd vor.
Doch dann kam ein Deus ex Machina angesaust. In einem SUV. Der surrte leise, sssss, fffff, wwwww, wie eine Windsbraut, reine umweltschonende Sonnen- und Windenergie. Drin saß Angie the Superwoman. Sie winkte meinem Sohn zu und sagte: Jeder weiß doch, dass die deutsche Autoindustrie in ihrer heutigen Form nicht überleben wird. Sprach’s und löste sich sodann in nichts auf.
Sie wurde weggebeamt, sagte ich zu meinem Sohn.
Das geht?, sagte er.
Es geht vieles, wenn man nur will, sagte ich. Aber vor allem, wenn man muss. Und unsere Autobauernation muss jetzt einfach radikal umdenken! Und Politikerinnen hätten sogar die Macht, gute Fortbewegungsmittel einfach zu befehlen, wie in Norwegen oder England. Denn was gerade passiert, ist ja quasi das Fukushima der Autoindustrie.
Und dann radelten wir gemeinsam in den Sonnenuntergang.
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